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Wir lassen uns das Tanzen am Karfreitag nicht verbieten!

21.03.2018

Tanzdemo Stuttgart Schlossplatz, 30.3., 17:00 – 20:00 h

Sehr geehrte Damen und Herren,

die gbs Stuttgart plant für Karfreitag zusammen mit einem breiten Bündnis aus Piratenpartei, Linksjugend, Jungen Sozialisten, Jungen Liberalen und Grüner Jugend eine Tanzdemo für die Trennung von Staat und Religion.

Das baden-württembergische Feiertagsgesetz schreibt allen Bürgern vor, den Karfreitag als "stillen Feiertag" zu begehen. An diesem Tag, genauer: von Grün-donnerstag 18 Uhr bis Karsamstag 20 Uhr, besteht Tanzverbot. Zudem sind Sport-veranstaltungen untersagt und Filme ohne "Feiertagsfreigabe" dürfen nicht gezeigt werden – darunter auch Kinderfilme wie "Heidi in den Bergen" und "Meister-detektiv Blomquist" (nach einem Roman von Astrid Lindgren). Veranstalter, z. B. Gaststätten oder Diskotheken, die gegen das Verbot verstoßen, riskieren saftige Bußgelder. Andere "stille Feiertage" in Baden-Württemberg sind etwa Buß- und Bettag sowie Allerheiligen.

Dies ist für uns nicht akzeptabel. Karfreitag 2018 wird in Stuttgart kein stiller Feiertag sein – das ist das wichtigste Signal unserer Tanzdemo. Wir lassen uns nicht vorschreiben, wann wir Tanz- und Sportveranstaltungen besuchen dürfen. Religion ist Privatsache, keine Staatsangelegenheit.

Anlagen

Feiertagsgesetz - FTG - Landesrecht BW www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&query=FeiertG+BW&psml...
(Auszüge)
§ 8 (1) Am Karfreitag und am Totengedenktag (Sonntag vor dem 1. Advent) sind verboten:
1. öffentliche Veranstaltungen in Räumen mit Schankbetrieb, die über den Schank- und Speisebetrieb hinausgehen;
2. sonstige öffentliche Veranstaltungen, soweit sie nicht der Würdigung des Feiertages oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder Volksbildung dienen;
3. öffentliche Sportveranstaltungen am Karfreitag während des ganzen Tages, am Totengedenktag bis 13 Uhr.
Die Veranstaltungsverbote nach Satz 1 beginnen am Karfreitag um 0 Uhr und am Totengedenktag um 5 Uhr.
(2) Am Ostersonntag, Pfingstsonntag, an Fronleichnam und am Ersten Weihnachtstag sind öffentliche Sportveranstaltungen bis 11 Uhr verboten.
(3) An den übrigen Tagen der Karwoche (Palmsonntag bis Karsamstag), am Ostersonntag, Pfingstsonntag, an Fronleichnam, am Volkstrauertag (vorletzter Sonntag vor dem 1. Advent) und am Ersten Weihnachtstag können öffentliche Veranstaltungen und Vergnügungen, auch soweit sie nach § 7 Abs. 2 nicht verboten sind, von der Kreispolizeibehörde auf Antrag der Ortspolizeibehörde verboten werden, wenn sie nach den besonderen örtlichen Verhältnissen Anstoß zu erregen geeignet sind.

§ 10 Öffentliche Tanzunterhaltungen sind … von Gründonnerstag 18 Uhr bis Karsamstag 20 Uhr … verboten.

Dass die Religion im Staatswesen ihren Platz behauptet, obwohl die Kirchen an Bindungskraft verlieren, sehen auch Experten so. Stefan Muckel vom Institut für Kirchenrecht an der Uni Köln nennt es eine "verfassungsrechtliche Situation, die der Religion freundlich gegenübersteht".

Protestaktionen der Säkularen haben Erfolge

Dass mit säkularen Protestaktionen tatsächlich gesellschaftliche Änderungen bewirkt werden können, erklärt Werner Koch, Mitglied der Aktionsgruppe Das 11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen, an einem Beispiel. Indem Das 11. Gebot das Thema Kirchentagsfinanzierung in die Öffentlichkeit trug, konnte die Aktionsgruppe bewirken, dass in Münster zum ersten Mal in der Geschichte der Kirchentagsfinanzierung ein Stadtrat den vom Kirchentagsveranstalter beantragten Barzuschuss in Millionenhöhe aus der Stadtkasse ablehnte. Die historische Abstimmung im Stadtrat von Münster erfolgte am 25. März 2015.

2018 werden in Stuttgart und voraussichtlich auch in anderen deutschen Städten – wie Bochum, München, Leipzig - viele Menschen gemeinsam gegen klerikale Bevormundung protestieren und gemeinsam fröhlich sein. Wir werden dabei darauf aufmerksam machen, dass das Feiertagsgesetz nur die winzige Spitze eines Eisberges ist. Dieser Eisberg mit seinen eingefrorenen Kirchenprivilegien und Diskriminierungen von Menschen, die denken und nicht glauben wollen, ist durch das Zugeständnis des Bundesverfassungsgerichtes, dass es relevante Ausnahmegenehmigungen im Feiertagsgesetz geben soll, ein winziges Stückchen abgeschmolzen. Mit Höllenspaß wollen wir diesen Prozess weiter anheizen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom November 2017 ja quasi aufgefordert, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, die uns von den Beschränkungen des Feiertagsgesetzes befreit. Politisch kann dies als Akzeptieren der klerikalen Verfasstheit unserer Gesellschaft verstanden werden. Das wollen wir natürlich nicht. Anderseits: Wenn die Veranstaltung provokant genug ist, kann es juristisch auch ein erfolgreicher Anlauf sein, das Bundesverfassungsgericht zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Grundrechtsverletzungen des Feiertagsgesetzes zu zwingen. Bei der normalen Dauer von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes könnte das dann in etwa zu dem Zeitpunkt sein, an dem die beiden großen christlichen Organisationen in unserer Gesellschaft nur noch weniger als die Hälfte der Bevölkerung in unserem Land zu ihren Mitgliedern zählen können.

Unser Ziel

Die Regionalgruppe Stuttgart der Giordano-Bruno-Stiftung setzt sich dafür ein, dass die staatliche Bevormundung der Gesamtbevölkerung mit kirchlichen Normen beendet wird. Wir möchten dazu beitragen, dass sich weltanschaulich neutrale Gesetze durchsetzen, die auch die Interessen der konfessionell ungebundenen Menschen berücksichtigen. Das heißt, dass religiös begründete Gesetze und kirchliche Privilegien zu hinterfragen sind. Gleiche Rechte für alle Weltanschau-ungen bedeutet nicht, dass christliche Kirchen diskriminiert werden – es geht darum, historische Privilegien und Sonderrechte abzubauen und die Diskrimi-nierung anderer Weltanschauungen zu beenden. Die Vielfalt der Weltanschau-ungen erfordert einen Staat mit mehr Säkularität und weniger Religiosität.

Zur gbs Stuttgart

Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs, Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus, www.giordano-bruno-stiftung.de) versteht sich als Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, der zahlreiche bekannte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören. Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines logisch konsistenten, naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik und Politik zu entwickeln und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung versteht sich in diesem Sinne auch als Interessenvertretung und Sprachrohr aller einem rationalen Weltbild verpflichteten Menschen.
Die Regionalgruppe gbs Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V. des Förderkreises der gbs vertritt die Anliegen der Giordano-Bruno-Stiftung auf regionaler Ebene und ermöglicht so eine aktive persönliche Mitarbeit der Förderer vor Ort. Uns eint die Überzeugung, dass eine moderne, an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und einem säkularen Humanismus orientierte Weltanschauung einer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts angemessen ist.

Die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nicht mit den religiösen Vorstellungen der Vergangenheit gemeistert werden. Wir benötigen ein zeitgemäßes Weltbild, das im Einklang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen steht, sowie eine Ethik, die sich konsequent an den individuellen Selbstbestimmungsrechten (etwa im Sinne der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte") orientiert. Als Evolutionäre Humanisten treten wir für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Im Unterschied zu traditionellen Humanisten begreifen wir den Menschen jedoch nicht mehr als "Krone der Schöpfung", sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution. Letztlich sind auch wir bloß "Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will" (A. Schweitzer), was sich auch in einem verantwortungsvollerem Umgang mit der Tierwelt niederschlagen sollte.

Kontakt/Ansprechpartner
 Pressesprecher
 gbs Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V.
 Christoph Houtman
 E-Mail: cho.utman(at)we.b.de
 Werner Koch