Sie sind hier

Verbotene Filmvorführung am Karfreitag

09.04.2019

Die gbs Stuttgart e.V. plant die Vorführung des Films "Das Leben des Brian" am Karfreitag, 19.4.2019, 20 Uhr, im WEISSENBURG ZENTRUM LSBTTIQ STUTTGART (siehe angehängter Flyer) – als Mittel gegen die religiöse Kar-freitags-Tristesse ("Always look on the bright side of life").

Die Aufführung dieses Films an Karfreitag ist verboten. Das baden-württembergische Feiertagsgesetz schreibt vor, dass der Karfreitag und einige andere Feiertage mit kirchlichem Hintergrund als "stille Tage" begangen werden müssen (in vielen anderen Bundesländern existieren analoge Gesetze). An solchen Tagen dürfen Filme ohne Feiertagsfreigabe, selbst Kinderfilme wie "Heidi in den Bergen" und "Meisterdetektiv Blomquist" (nach einem Roman von Astrid Lindgren), aus Rücksicht auf religiöse Gefühle nicht öffentlich aufgeführt werden. Zudem sind Tanz- und Sportveranstaltungen untersagt. Veranstalter, z. B. Gaststätten oder Diskotheken, die gegen das Verbot verstoßen, riskieren saftige Bußgelder.

Die von uns beantragte Ausnahmegenehmigung wird auch in diesem Jahr bisher verweigert.

Mit der Filmvorführung protestiert die gbs Stuttgart gegen diesen durch das Feiertagsgesetz zementierten Anachronismus in unserer säkularen Gesellschaft. Wir, zusammen mit den inzwischen über 50 % der Bevölkerung in Stuttgart, die keiner der christlichen Großkirchen angehören, lassen uns nicht mehr vorschreiben, wie wir solche Feiertage zu verbringen haben.

Hintergrund

Vergleichbare Veranstaltungen an Karfreitag werden an vielen Orten in Deutschland genehmigt oder toleriert. Nicht so in Stuttgart: Nachdem die Vorführung des Films im Jahr 2018 vom Ordnungsamt nicht genehmigt wurde und wir die Veranstaltung im Rahmen einer Spontandemonstration abhalten mussten, haben wir für die Karfreitagsveranstaltung 2019 mit Hilfe eines Rechtsanwalts sehr früh, bereits am 9.11.2018, einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung an die Stadt Stuttgart gestellt. Dieser Antrag wurde kostenpflichtig ab-gelehnt; das Ordnungsamt der Landeshauptstadt Stuttgart bevorzugt eine gerichtliche Klärung. Am 13.12.2018 hat der Rechtsanwalt beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage gegen die Landeshauptstadt Stuttgart eingereicht und – nachdem die Stellungnahme der Stadt Stuttgart vorlag – am 18.2.2019 um einen mündlichen Verhandlungstermin noch im März 2019 gebeten.

Falls wir in Stuttgart nicht rechtzeitig eine Ausnahmegenehmigung erhalten sollten – wovon auszugehen ist –, haben wir die Karfreitags-Filmvorführung im Rahmen einer Versammlung vorgesehen. Das Versammlungsrecht ist durch Art. 8 des Grundgesetzes besonders geschützt und damit höherrangig als das Feiertagsgesetz von BW und eine Befreiung ist gar nicht nötig. Die Begründung für die Versammlung/Demonstration wäre die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung.

Wir planen die Filmvorführung an Karfreitag auch in den nächsten Jahren fortzusetzen, ggf. mit Erweiterungen der Karfreitagsveranstaltung, z. B. als Heidenspaßparty mit Tanz.

Die gbs Stuttgart hatte bereits letztes Jahr einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung für die öffentliche Aufführung des Films am Karfreitag 2018 beim Ordnungsamt Stuttgart gestellt. Das Ordnungsamt hatte uns daraufhin mehrfach angeboten, den Antrag zurückzuziehen, um eine kostenpflichtige Ablehnung zu vermeiden. Am 27.3.2018 spätnachmittags, zwei Tage vor Karfreitag, wurde dann per E-Mail der Bescheid übermittelt, dass der Antrag kostenpflichtig abgelehnt wird. Die Argumente für die Ablehnung haben die befragten Kirchen dem Ordnungsamt geliefert; die Kirchen beharren auf ihr durch das Gesetz festgeschriebene Recht auf stille Tage. Die gbs Stuttgart fand trotzdem eine Möglichkeit, den Film vorzuführen; die Filmvorführung wurde in einen wissenschaftlichen Vortrag mit dem Titel "Blasphemie ist nicht strafbar" eingebettet.

Anderswo wird dagegen anders geurteilt, auch in Baden-Württemberg: In Mannheim veranstalten die Säkularen Humanisten gbs Rhein-Neckar Karfreitagsveranstaltungen ganz ohne öffentliche Aufmerksamkeit. In Karlsruhe wurde 2018 pünktlich zu Beginn des baden-württembergischen Tanzverbots ein Walzer getanzt.

In Bochum und Berlin wurde die Vorführung des Films am Karfreitag von den dortigen Ordnungsämtern auf der Basis von Ausnahmegenehmigungen gestattet. Der Antrag der gbs Leipzig wurde im Jahr 2018 erstmals gestellt; die Stadt Leipzig hat von sich aus die Veranstaltung als Versammlung eingestuft, für die keine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist.

Unser Ziel

Die Regionalgruppe Stuttgart der Giordano-Bruno-Stiftung setzt sich dafür ein, dass die staatliche Bevormundung der Gesamtbevölkerung mit kirchlichen Normen beendet wird. Wir möchten dazu beitragen, dass sich weltanschaulich neutrale Gesetze durchsetzen, die auch die Interessen der konfessionell ungebundenen Menschen berücksichtigen. Das heißt, dass religiös begründete Gesetze und kirchliche Privilegien zu hinterfragen sind. Gleiche Rechte für alle Weltanschauungen bedeutet nicht, dass christliche Kirchen diskriminiert werden – es geht darum, historische Privilegien und Sonderrechte abzubauen und die Diskriminierung anderer Weltanschauungen zu beenden. Die Vielfalt der Weltanschauungen erfordert einen Staat mit mehr Säkularität und weniger Religiosität.

Zur gbs Stuttgart

Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs, Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus, www.giordano-bruno-stiftung.de) versteht sich als Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, der zahlreiche bekannte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören. Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines logisch konsistenten, naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik und Politik zu entwickeln und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung versteht sich in diesem Sinne auch als Interessenvertretung und Sprachrohr aller einem rationalen Weltbild verpflichteten Menschen.
Die Regionalgruppe gbs Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V. des Förderkreises der gbs vertritt die Anliegen der Giordano-Bruno-Stiftung auf regionaler Ebene und ermöglicht so eine aktive persönliche Mitarbeit der Förderer vor Ort. Uns eint die Überzeugung, dass eine moderne, an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und einem säkularen Humanismus orientierte Weltanschauung einer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts angemessen ist.
Die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nicht mit den religiösen Vorstellungen der Vergangenheit gemeistert werden. Wir benötigen ein zeitgemäßes Weltbild, das im Einklang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen steht, sowie eine Ethik, die sich konsequent an den individuellen Selbstbestimmungsrechten (etwa im Sinne der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte") orientiert. Als Evolutionäre Humanisten treten wir für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Im Unterschied zu traditionellen Humanisten begreifen wir den Menschen jedoch nicht mehr als "Krone der Schöpfung", sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution. Letztlich sind auch wir bloß "Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will" (A. Schweitzer), was sich auch in einem verantwortungsvollerem Umgang mit der Tierwelt niederschlagen sollte.

Kontakt/Ansprechpartner
 Pressesprecher
 gbs Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V.
 Christoph Houtman
 E-Mail: cho.utman(at)we.b.de
 Werner Koch