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Alkoholverbot und Tanzeinschränkungen am Karfreitag…

03.04.2020

…wollte das Stuttgarter Ordnungsamt für eine Veranstaltung der gbs Stuttgart festlegen

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Maßnahmen zur Corona-Krise haben die von der gbs Stuttgart für Karfreitag geplante Veranstaltung hinfällig gemacht. Die frühzeitig beantragte Ausnahmegenehmigung ruht. Dennoch finden wir eine kurze Zusammenfassung dessen interessant, was das Stuttgarter Ordnungsamt und das baden-württembergische Feiertagsgesetz denen zumuten, die sich am Karfreitag nicht mehr vom christlich geprägten Feiertagsgesetz bevormunden lassen wollen.

Hintergrund: Der Karfreitag als "Stiller Tag" unterliegt gemäß dem baden-württembergischen Feiertagsgesetz strengen Beschränkungen: Tanzveranstaltungen sind grundsätzlich verboten und Filme dürfen nur öffentlich aufgeführt werden, wenn sie durch die "Feiertagsfreigabe" dem verordneten ernsten Charakter des Tages nicht zuwiderlaufen. Die gbs Stuttgart protestiert seit Jahren mit Veranstaltungen gegen diese von Kirchen und Staat verordnete unzeitgemäße Zwangstrauer.

Letztes Jahr wurden laut Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart für die Vorführung des Films "Das Leben des Brian" durch die gbs Stuttgart im Zuge einer von uns frühzeitig beantragten Ausnahmegenehmigung folgende Einschränkungen festgelegt: Maximal 80 Personen, die Türen und Fenster mussten während der Veranstaltung geschlossen gehalten werden.

Den Weg über das Verwaltungsgericht mussten wir einschlagen, da das Ordnungsamt die Ausnahmegenehmigung abgelehnt und einer gerichtlichen Entscheidung den Vorzug gegeben hat. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat erst kurz vor dem Termin entschieden und der Stadt Stuttgart die Genehmigung der Karfreitagsveranstaltung auferlegt, die wir erst zwei Tage vor Karfreitag erhalten haben.

Für 2020 war ebenfalls eine Veranstaltung geplant: ein Einführungsvortrag, zwei Filmvorführungen ("Heidi in den Bergen" – nicht feiertagsfrei und "Gelobt sei Gott", feiertagsfrei) und eine anschließende Tanzrunde in einer Diskothek (das LKA-Longhorn im Stuttgart-Wangener Industriegebiet). Für die Vorführung der Filme wurde die Ausnahmegenehmigung bereits in der ersten Rückmeldung in Aussicht gestellt, als die in solchen Fällen obligatorische Anhörung der Kirchen noch ausstand – ein Fortschritt gegenüber dem Vorjahr. Für die Tanzrunde wollte das Ordnungsamt zunächst weitergehende Information haben, z. B. wie lange sie dauern würde und wie viele und welche Lieder gespielt werden sollten.

Als nächstes wäre das Ordnungsamt bereit gewesen, die Veranstaltung im Weissenburg-Zentrum zu genehmigen, aber nicht in der Diskothek LKA-Longhorn. Der nächste Fortschritt war die Aussicht, die Veranstaltung im LKA-Longhorn zu genehmigen, wenn wir mit dem Wirt den Verzicht auf Alkoholausschank vereinbaren würden. Man fürchtet offensichtlich, die (erwachsenen) Teilnehmenden könnten unter Alkoholeinfluss über die Stränge schlagen. Ein derartiges "Alkoholverbot" beschränkt aber nicht nur die Freiheit der Teilnehmer und die Gestaltungsfreiheit des Veranstalters, sondern auch die Auswahl des Veranstaltungsorts. Außerdem sollten die Türen und Fenster während der Veranstaltung geschlossen bleiben.

Warum müssen sich konfessionsfreie Menschen immer noch durch Feiertagsgesetz, staatlichen Kirchensteuereinzug und vieles andere von Großkirchen und Staat bevormunden lassen? Warum brauchen sie eine Ausnahmegenehmigung des Ordnungsamts, wenn sie am Karfreitag und anderen "Stillen Tagen" ihre vom Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte wahrnehmen wollen? Mehr als die Hälfte der Bewohner Stuttgarts sind nicht mehr Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche - Tendenz steigend.

Die Ausnahmegenehmigung war in greifbarer Nähe und unser Rechtsanwalt war vorbereitet, bei Bedarf eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts zu beantragen – aber mit Hinweis auf die durch die Corona-Krise verursachte "Allgemeinverfügung Veranstaltungen" der Stadt Stuttgart vom 13. März ruht inzwischen der Antrag auf Ausnahmegenehmigung.

Die gbs Stuttgart beabsichtigt (neben zahlreichen anderen Gruppen der gbs und des Bunds für Geistesfreiheit), auch am Karfreitag 2021 auf die absurde Bevormundung durch die Feiertagsgesetze vieler Bundesländer aufmerksam zu machen, die der grundgesetzlich vorgegebenen Trennung von Staat und Kirche krass widersprechen und die der heutigen Gesellschaft, die durch weltanschauliche Vielfalt geprägt ist, nicht mehr vermittelbar ist.

Unser Ziel

Die Regionalgruppe Stuttgart der Giordano-Bruno-Stiftung setzt sich dafür ein, dass die staatliche Bevormundung der Gesamtbevölkerung mit kirchlichen Normen beendet wird. Wir möchten dazu beitragen, dass sich weltanschaulich neutrale Gesetze durchsetzen, die auch die Interessen der konfessionell ungebundenen Menschen berücksichtigen. Das heißt, dass religiös begründete Gesetze und kirchliche Privilegien zu hinterfragen sind. Gleiche Rechte für alle Weltanschauungen bedeutet nicht, dass christliche Kirchen diskriminiert werden – es geht darum, historische Privilegien und Sonderrechte abzubauen und die Diskriminierung anderer Weltanschauungen zu beenden. Die Vielfalt der Weltanschauungen erfordert einen Staat mit mehr Säkularität und weniger Religiosität.

Zur gbs Stuttgart

Die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs, Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus, www.giordano-bruno-stiftung.de) versteht sich als Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, der zahlreiche bekannte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören. Ziel der Stiftung ist es, die Grundzüge eines logisch konsistenten, naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik und Politik zu entwickeln und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung versteht sich in diesem Sinne auch als Interessenvertretung und Sprachrohr aller einem rationalen Weltbild verpflichteten Menschen.
Die Regionalgruppe gbs Stuttgart/Mittlerer Neckar e.V. des Förderkreises der gbs vertritt die Anliegen der Giordano-Bruno-Stiftung auf regionaler Ebene und ermöglicht so eine aktive persönliche Mitarbeit der Förderer vor Ort. Uns eint die Überzeugung, dass eine moderne, an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und einem säkularen Humanismus orientierte Weltanschauung einer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts angemessen ist.

Die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können nicht mit den religiösen Vorstellungen der Vergangenheit gemeistert werden. Wir benötigen ein zeitgemäßes Weltbild, das im Einklang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen steht, sowie eine Ethik, die sich konsequent an den individuellen Selbstbestimmungsrechten (etwa im Sinne der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte") orientiert. Als Evolutionäre Humanisten treten wir für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Im Unterschied zu traditionellen Humanisten begreifen wir den Menschen jedoch nicht mehr als "Krone der Schöpfung", sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution. Letztlich sind auch wir bloß "Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will" (A. Schweitzer), was sich auch in einem verantwortungsvollerem Umgang mit der Tierwelt niederschlagen sollte.

Referenzen

"Eilantrag zum Veranstaltungsverbot am Karfreitag im Wesentlichen erfolgreich" Datum: 16.04.2019; Kurzbeschreibung: PRESSEMITTEILUNG vom 16.04.2019
https://verwaltungsgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde_DE/Eilantrag+z...

"Humanisten erteilen "Tanzsegen" für bundesweite "Heidenspaß-Partys"" Tanzlizenz an Karfreitag 02.03..2018 https://hpd.de/artikel/tanzlizenz-an-karfreitag-15336

"BVerfG erklärt Verbot der Münchener "Heidenspaß-Party 2007" für verfassungswidrig Tanzverbot an Karfreitag gilt nicht schrankenlos" 01.12.2016
https://hpd.de/artikel/tanzverbot-an-karfreitag-gilt-nicht-schrankenlos-13835

"Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Originalwortlaut" (Beschluss vom 27.10.2016 - 1 BvR 458/10)
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/10/rs20161027_1bvr045810.html

"Der Sinn von Politik ist Freiheit" 08.02.2013 Lieblingszitate von Winfried Kretschmann: Winfried Kretschmann: "Grundlage aller Politik ist die Pluralität des Menschen” und "Der Sinn von Politik ist Freiheit”.
https://www.baden-wuerttemberg.de/de/regierung/ministerpraesident/interviews-reden-und-regierungserklaerungen/interview/pid/der-sinn-von-politik-ist-freiheit/

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