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Rote Karte für den Landtag von Baden-Württemberg

Montag, 17 Mai, 2021 - 12:00

Neutralitätsverletzung durch Übertragung von "ökumenischem Gottesdienst"

Unmittelbar vor der konstituierenden Sitzung des Landtags, die am 11.5. um 11:00 Uhr begann, wurde ab 9:30 Uhr ein "ökumenischer Gottesdienst" für die neu gewählten Abgeordneten in den Landtag übertragen – eine Art "Einsegnung" ähnlich einem Schülergottesdienst. Damit hat sich das Land Baden-Württemberg einer gravierenden Verletzung der weltanschaulichen Neutralität schuldig gemacht.

Darauf machten Mitglieder der gbs Stuttgart unmittelbar vor der Eröffnungssitzung am Rand der Bannmeile mit einer Kundgebung aufmerksam, bei der sie dem Landtag als sichtbares Symbol des Protests die "Rote Karte" zeigten.

Die Landtagspräsidentin hatte entschieden, anlässlich der neuen Sitzungsperiode die Videoübertragung eines "ökumenischen Gottesdienstes" im Landtag zeigen zu lassen. Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften (ebenso wie corona-bedingte Videoübertragungen davon) haben aber in einem deutschen Länderparlament nichts zu suchen, denn zentrale Staatsorgane haben sich laut Grundgesetz Religionen und Weltanschauungen gegenüber neutral zu verhalten (siehe angehängtes Infoblatt).

Diese Vorzugsbehandlung gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen (Moslems, Buddhisten, Nicht-Religiösen etc.) steht in einer umfangreichen Reihe von Privilegien, die die evangelische und die katholische Kirche in Baden-Württemberg genießen. Beispiele:

- die Überschneidung von kirchlichen und öffentlichen Ämtern: So ist Ministerpräsident Kretschmann zugleich als Kirchenbeauftragter der Landesregierung erster Ansprechpartner für Kirchen und Religionsgemein-schaften

- die offen von Ministerpräsident Kretschmann erhobene Forderung der Orientierung an religiösen Werten

- die massive Subventionierung des Katholikentags 2022 in Stuttgart durch Baden-Württemberg

Dass die Großkirchen diese Vorzugsbehandlung nach wie als selbstverständlich voraussetzen, formuliert der Freiburger Erzbischof Stephan Burger in seiner in den Landtag übertragenen Predigt ganz offen: "Es sind diese christlichen Überzeugungen, die unser Miteinander, unsere Gemeinschaft und Gesellschaft tragen, Grundwerte allen politischen Handelns".

Dabei sinkt der Anteil der Bevölkerung, der den beiden Großkirchen angehört, in unserem Bundesland wie in ganz Deutschland rapide. Selbst von den eingetragenen Kirchenmitgliedern sind nur noch die wenigsten aktiv: Regelmäßig Gottesdienste besuchen bei den Katholiken nur noch 9,1 %, bei den Protestanten sogar nur noch 3,4 %.

"Was Landtagsabgeordnete privat tun, ist ihre Sache", so Christoph Houtman, Pressesprecher der gbs Stuttgart. "Aber dass der baden-württembergische Landtag die Übertragung eines christlichen Gottesdienstes in seine Räumlichkeiten erlaubt, ist verräterisch und absurd. Wir würden ja auch keine schamanischen Geisterbeschwörungen zu diesem Anlass akzeptieren."