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Fragen der gbs-Regionalgruppen Baden-Württemberg zur Landtagswahl 2021

Die Wahlentscheidungshilfe Wahl-O-Mat enthält lediglich eine Frage die etwas mit Konfession bzw. Religion zu tun hat: Frage 11: "Der konfessionelle Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg soll abgeschafft werden." Wir wollten von den Parteien und Kandidaten mehr wissen, als im Wahl-O-Mat zu erfahren ist und haben Fragen zu 10 Themen gestellt, die hier als Überschriften wiedergegeben sind. Im Idealfall lautete die Antwort: "Ja, Zustimmung".

1. Weltanschauliche Neutralität des Staates

Der Staat ist die Heimstatt aller Bürger*innen und hat gleichen Abstand zu allen weltanschaulichen Bekenntnissen zu wahren. Der weltanschaulich neutrale Staat muss dafür sorgen, dass seine Rechtsnormen auch innerhalb der Religionsgemeinschaften beachtet werden. Unter keinen Umständen darf er den Eindruck erwecken, dass Religionen in irgendeiner Weise über dem Gesetz stehen.

Fragen

  • Stimmen Sie zu, dass in einem weltanschaulich neutralen Staat religiöse Symbole in Gerichtssälen, Amtsstuben und Schulräumen keinen Platz haben?
  • Stimmen Sie zu, explizite Gottesbezüge in Verfassungen und Schulgesetzen zu streichen?
  • Stimmen Sie zu, die Zusammenarbeit mit den islamischen Dachverbänden einzustellen, die möglicherweise eine politische Agenda haben ( z. B. den Muslimbrüdern nahestehen) und anstreben, schleichend die Demokratie auszuhöhlen (legalistischer / politischer Islam)?

2. Direkte historische Staatsleistungen

Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung, der unverändert ins Grundgesetz übernommen wurde, verlangt seit mehr als 100 Jahren ein Rahmengesetz zur Ablösung der historisch bedingten direkten Staatsleistungen der Länder an die beiden großen Kirchen. Die deutschen Bundesländer – mit Ausnahme von Bremen und Hamburg – zahlen im Jahr 2021 ca. 569 Millionen Euro an die Religionsgesellschaften. Baden-Württemberg zahlt mit 132 Mio. den "Löwenanteil".
Die auf – zum Teil überhaupt nicht mehr beleg- und begründbaren – historischen Rechtstiteln beruhenden erheblichen Zahlungen des Staates an die Kirchen sind einzustellen. Alle Ansprüche aufgrund von Enteignungen im 19. Jahrhundert sollten aufgrund der bisherigen Leistungen als befriedigt gelten. Ob mit juristischen oder politischen Mitteln, durch Ablösesumme oder rückwirkende Aufrechnung – kein Steuerzahler darf mehr zur Finanzierung der Kirchen gezwungen werden.

Frage

Stimmen Sie der Forderung zu, den verfassungsmäßigen Auftrag zur Ablösung der historischen Staatsleistungen in absehbarer Zeit zu vollenden?

3. Vertretung in öffentlichen Gremien

Kirchenvertreter im Rundfunkrat bestimmen beim Programm mit. Kirchen erhalten Sendezeiten bei öffentlichen Sendern und Sender betreiben kirchliche Redaktionen auf Kosten der Gebührenzahler. Dabei gibt es genügend kircheneigene TV-Kanäle, die der Verkündigung dienen und die eigenen Kirchenmitglieder ausreichend ansprechen.
Die Gruppe der Konfessionsfreien und Humanisten ist bislang nicht vertreten. Diese Diskriminierung abzubauen kann nicht unter Verweis auf deren geringen Organisationsgrad verweigert werden. Ein weltanschaulich neutraler Staat muss dafür sorgen, dass alle Bevölkerungsgruppen/Wertegemeinschaften gleichermaßen angehört und einbezogen werden.

Frage

Stimmen Sie zu, dass sich das weltanschauliche Spektrum der Bevölkerung z. B. in Rundfunkräten, Jugend- und Sozialausschüssen, Ethikräten und Bundesprüfstellen widerspiegeln sollte?

4. Öffentliche staatliche Gedenk- und Feierkultur

Die Kirchen sind bewährte Partner eines kulturspezifischen Ritenangebots. Die Gesellschaft ist jedoch religiös plural und zu einem wachsenden Anteil nichtreligiös geworden. Potenzielle Streitpunkte sind Kirchenglocken und Muezzin-Rufe, Gottesdienste, mit denen das Schuljahr oder der Landtag eröffnet wird, und Feierverbote wie am Karfreitag sowie die Berücksichtigung muslimischer, jüdischer oder nichtreligiöser Feiern.

Fragen

  • Setzen Sie sich dafür ein, dass öffentliche staatliche Trauer-, Gedenk- und Feierveranstaltungen entweder weltanschauungsübergreifend (z. B. durch mehrere gleichberechtigte Sprecher bzw. Gestaltungselemente) oder aber strikt weltanschauungsneutral durchgeführt werden?
  • Stimmen Sie zu, das Feiertagsgesetz dahingehend zu ändern, dass an besonderen religiösen Feiertagen (aller wichtigen Religionen, nicht nur der christlichen) an Stelle der "Stillen Tage" für alle eine "Stille Zone" um Veranstaltungsorte festgelegt wird?

5. Weltanschauliche Trägervielfalt

Kinderbetreuungs- und Sozialeinrichtungen, Krankenhäuser, Senioren- und Pflegeheime werden im Sinne des Subsidiaritätsprinzips oft in freier Trägerschaft betrieben. Viele dieser Einrichtungen sind kirchlich geprägt, werden aber überwiegend öffentlich finanziert. Wo kirchliche Träger öffentliche soziale Einrichtungen betreiben, muss gewährleistet sein, dass Mitarbeiter und Nutzer nicht durch kirchliche Sonderrechte und Ausnahmegenehmigungen benachteiligt werden können.
Sehen Sie die Notwendigkeit, in allen Teilen Deutschlands nichtreligiöse Trägerschaften sicherzustellen bzw. zu fördern, die dem konfessionsfreien Anteil der Bevölkerung entsprechen? Wie begegnen Sie dem Wunsch nach einem ausreichenden Angebot an weltanschaulich neutraler Früherziehung und Betreuung?

Fragen

  • Stimmen Sie zu, dass alle Träger sozialer Einrichtungen gleich behandelt werden sollten?
  • Sehen Sie die Notwendigkeit, in allen Bereichen nichtreligiöse Trägerschaften sicherzustellen bzw. zu fördern, die dem konfessionsfreien Anteil der Bevölkerung entsprechen?

6. Wertebildende Schulfächer

Ethikunterricht als Alternative zum Religionsunterricht wird an öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg noch nicht für alle Klassen angeboten – und wird als "Ersatzfach" nicht gleichwertig eingestuft.
Ein gemeinsamer religions- und weltanschauungskundlicher Ethikunterricht für alle würde gegenüber dem Unterricht in unterschiedlichsten Religionen nicht nur die Integration fördern, sondern auch zu Kosteneinsparungen führen.

Frage

Treten Sie für einen integrativen Werte-, Religionskunde- und Ethikunterricht ein, der die Schülerschaft nicht nach Konfessionen trennt?

7. Bekenntnisfreie Schulen – Bekenntnisschulen

Die Verfassung und die Schulgesetze von Baden-Württemberg legen auch für öffentliche Schulen ausnahmslos Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen (im Gesetz "christliche Gemeinschaftsschule" genannt) fest. Dies ist jedoch mit einem weltoffenen und weltanschaulich neutralen Baden-Württemberg und der weltanschaulichen Verteilung der Bevölkerung nicht vereinbar.
Im Grundgesetz wurden im Jahr 1949 bereits bekenntnisfreie Schulen vorgesehen (Art. 7(3)). Die Umsetzung im Bereich staatlicher Schulen lässt auf sich warten.

Frage

Stimmen Sie der Umwandlung der öffentlichen "christlichen Gemeinschaftsschulen" in bekenntnisfreie Schulen in Baden-Württemberg zu?

8. Abgeordnete – Religion ist Privatsache

Der Staat muss weltanschaulich neutral sein. Das erfordert, dass die gewählten Abgeordneten dieses Prinzip beachten. Religion ist Privatsache und keine Staatsangelegenheit. Art. 27(3) der Verfassung des Landes Baden-Württemberg besagt: "Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Die "Gewissensformel" der Verfassung appelliert an das professionelle Gewissen von Berufspolitikern, ihre Entscheidungen "als Vertreter des ganzen Volkes" nach "bestem Wissen und Gewissen" zu treffen, keinesfalls ist damit das private oder gar religiöse Gewissen der Abgeordneten gemeint.
Die Verquickung von Staats- und (ehrenamtlichen) Kirchenämtern begünstigt den Einfluss der Kirche im Staat und in den Ministerien. Transparenz ist gefordert, um Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden.

Fragen

  • Stimmen Sie zu, dass Abgeordnete die Interessen der gesamten Bevölkerung vertreten müssen, unabhängig von ihren privaten religiösen Einstellungen?
  • Stimmen Sie zu, dass Parlamentsabgeordnete Ämter in Kirchen und angeschlossenen Organisationen offenlegen müssen?
  • Stimmen Sie zu, dass Gesetze weltanschaulich neutral und nicht religiös geprägt sein sollen?

9. Weltanschauungsbeauftragte, Runde Tische der Weltanschauungen

Wo es Einrichtungen wie Religionsbeauftragte oder Runde Tische der Religionen gibt, schließen diese meist nicht-religiöse Weltanschauungen aus. Das ist Diskriminierung bzw. Privilegierung der Religionen. Es gibt neben den gbs-Regionalgruppen in Baden-Württemberg weitere Organisationen wie die Freidenker, Die Humanisten Baden-Württemberg, Die Anstifter, etc., die Ansprechpartner der Zivilgesellschaft sein können.

Fragen

  • Stimmen Sie dafür, Religionsbeauftragte durch Religions- und Weltanschauungsbeauftragte zu ersetzen?
  • Stimmen Sie zu, dass staatliche Kooperation und Unterstützung für Einrichtungen wie Runde Tische der Religionen/Weltanschauungen voraussetzt, dass sie für alle religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen offen sind?

10. Kirchliche Büros beim Landtag

Die beiden christlichen Großkirchen betreiben Büros bei jedem Landtag und beim Bundestag, obwohl es für diese Sonderrolle keine gesetzliche Grundlage gibt. Die Kirchen haben dadurch Zugang zum Landtag und zur Landesregierung und werden frühzeitig in die Gesetzgebung einbezogen. Diese kirchlichen Lobbystrukturen sind nicht nur national einzigartig – sie werden nicht einmal als Lobbyeinrichtungen eingestuft. Dieser Zugang stellt ein Diskriminierungsrisiko dar, weil die Kirchen massiv überrepräsentiert sind und ihre traditionelle Stellung und hohe Finanzkraft dazu nutzen, ihre Interessen auf Kosten anderer Religionen und Weltanschauungen durchzusetzen.

Frage

Stimmen Sie zu, dass der bislang bereitgestellte privilegierte Zugang der Kirchen zum Landtag zu beenden ist und dass Kirchen wie Wirtschaftsbetriebe und Vereinigungen als Lobbyorganisationen behandelt werden sollten?

Antwortmöglichkeiten

 Antwort  a)  b)  c)  Kommentar
 Ja, Zustimmung
    überwiegend Zustimmung
 Neutral
    überwiegend Ablehnung 
 Nein, Ablehnung
 keine Meinung

Die Antworten wurden bei der Auswertung wie folgt bewertet:
Ja, Zustimmung = 1; überwiegend Zustimmung = 0,75
Neutral / keine Meinung = 0,5
überwiegend Ablehnung = 0,25; Nein, Ablehnung = 0

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